Finanzierung im Gesundheitswesen – warum Ärzte beim Kredit nicht automatisch im Vorteil sind

Veröffentlicht am 10. Dezember 2025

Medizinische Berufe gelten als sichere Kreditnehmer – doch die Realität ist komplexer.
Zwischen Gründung, Gerätefinanzierung und Praxisübernahme gibt es Stolperfallen, die selbst erfahrene Mediziner überraschen.
Wir haben mit einem Finanzierungsexperten gesprochen, der seit über zehn Jahren Arztpraxen und Kliniken berät.


Alex:

Viele denken, Ärzte bekommen bei Banken automatisch Kredit – schließlich gilt der Beruf als krisensicher. Stimmt das?

Finanzierungsexperte:
Teilweise, ja. Ärzte und Zahnärzte genießen ein sehr gutes Ansehen bei Banken. Die Ausfallquoten sind minimal, das Einkommen stabil.
Aber das heißt nicht, dass jede Anfrage automatisch durchgeht.
Gerade bei Existenzgründungen oder Praxisübernahmen prüfen Banken heute viel genauer, ob das Geschäftsmodell wirklich trägt – also: Lage, Patientenstruktur, Umsatzplanung.


Alex:

Was sind die häufigsten Finanzierungsanlässe bei Ärzten?

Finanzierungsexperte:
Drei Hauptgründe:
Erstens die Praxiseröffnung – entweder Neugründung oder Übernahme.
Zweitens die Modernisierung von Geräten, IT-Systemen oder Einrichtung.
Und drittens der Zukauf von Anteilen bei Gemeinschaftspraxen oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ).

Die Investitionssummen liegen schnell zwischen 250.000 und 800.000 Euro, teilweise auch darüber.
Allein ein digitales Röntgengerät kann 80.000 Euro kosten, eine Zahnarzt-Einheit bis zu 50.000 Euro.


Alex:

Das klingt nach einer großen Summe. Wie reagieren Banken auf solche Beträge?

Finanzierungsexperte:
Bei Ärzten sind diese Summen normal.
Banken finanzieren bis zu 100 % der Anschaffungskosten, wenn die wirtschaftliche Planung stimmt.
Allerdings spielt die Eigenkapitalquote eine Rolle – ideal sind 10–20 %.
Und: Die Praxisbewertung ist entscheidend.
Wenn jemand eine bestehende Praxis kauft, zählt deren Patientenstamm als immaterieller Wert – der aber schwer zu bewerten ist.


Alex:

Welche Banken sind in der Praxisfinanzierung besonders aktiv?

Finanzierungsexperte:
In Deutschland sind das vor allem drei Gruppen:

  1. apoBank (Deutsche Apotheker- und Ärztebank) – spezialisiert auf Heilberufe, hervorragende Konditionen, exzellente Branchenkenntnis.
  2. Sparkassen und Volksbanken – stark im regionalen Bereich, oft mit Sonderprogrammen für Ärzte.
  3. Santander und Deutsche Leasing – gut bei Gerätefinanzierungen, besonders im Dentalbereich.

Zusätzlich werden KfW-Programme (z. B. 067 und 047) oft über diese Banken durchgeleitet.


Alex:

Und wie sieht es mit alternativen Finanzierungen aus – also Fintechs oder Leasinganbieter?

Finanzierungsexperte:
Das kommt immer stärker.
Viele Mediziner nutzen Leasing für Geräte und Fahrzeuge, um Liquidität zu schonen.
Ein modernes Ultraschallgerät für 60.000 € lässt sich über 5 Jahre leasen – steuerlich absetzbar, ohne Eigenkapitalbindung.

Fintechs wie Finom oder iwoca gewinnen an Bedeutung für kleinere Finanzierungen – zum Beispiel für IT-Systeme, Software oder Umbauten unter 50.000 €.
Hier zählt die Geschwindigkeit: digitale Antragstellung, Entscheidung in 24 Stunden.


Alex:

Was sind die größten Fehler, die Ärzte bei der Finanzierung machen?

Finanzierungsexperte:
Nummer eins: fehlende Vorbereitung.
Viele Ärzte konzentrieren sich auf Medizin, aber nicht auf betriebswirtschaftliche Planung.
Eine Bank erwartet heute einen strukturierten Businessplan, eine Rentabilitätsvorschau und Liquiditätsrechnung.

Nummer zwei: Privat- und Praxisausgaben nicht trennen.
Das macht die Bonitätsprüfung unübersichtlich und schreckt Kreditgeber ab.

Nummer drei: fehlende Absicherung.
Gerade bei hohen Summen sollte man über Berufsunfähigkeits- und Risikoabsicherung nachdenken – viele Banken verlangen das sogar.


Alex:

Wie hat sich der Markt in den letzten Jahren verändert?

Finanzierungsexperte:
Enorm.
Praxisgründungen sind komplexer geworden, weil sich Ärzte immer häufiger zu Gemeinschaftspraxen oder MVZ-Strukturen zusammenschließen.
Das erfordert größere Summen – aber auch stabilere Einnahmen.

Dazu kommen neue Anforderungen: Digitalisierung, Datenschutz, Nachhaltigkeit.
Die KfW hat inzwischen Förderlinien speziell für digitale Praxisprozesse und Energieeffizienz geschaffen.
Wer also in moderne Software oder klimaneutrale Umbauten investiert, bekommt bessere Konditionen.


Alex:

Und was raten Sie jungen Ärzten, die gerade gründen wollen?

Finanzierungsexperte:
Frühzeitig planen.
Mindestens 6 bis 12 Monate vor Gründung mit der Bank sprechen.
Sich über Fördermittel informieren, Steuerberater einbinden und die Liquidität nicht unterschätzen.

Ein häufig unterschätzter Faktor ist die Anlaufphase:
Nach der Gründung dauert es oft 6–9 Monate, bis der Umsatz stabil läuft.
Dafür muss Liquidität eingeplant werden – sonst droht Engpass trotz guter Auftragslage.


Alex:

Kurz gesagt: Ärzte haben gute Karten, aber müssen sie richtig ausspielen?

Finanzierungsexperte:
Ganz genau.
Ein Arztberuf ist keine automatische Eintrittskarte zur Kreditvergabe – aber ein starkes Fundament.
Wer wirtschaftlich denkt, bekommt nicht nur Kredite, sondern auch bessere Konditionen.
Denn für Banken sind gut geführte Praxen die zuverlässigsten Kunden überhaupt.


Medizinische Berufe bleiben für Banken attraktive Zielgruppen.
Doch auch hier gilt: Erfolgreiche Finanzierung hängt weniger vom Titel ab – sondern von Planung, Transparenz und betriebswirtschaftlichem Denken.

Wer seine Praxis als Unternehmen versteht, wird schnell merken:
Eine solide Finanzstrategie ist genauso wichtig wie das Stethoskop.